Kapitel 1 – rechtliche Grundlagen
Manche Eigentümer, Vermieter oder Mieter haben sich schon gefragt, inwieweit ein Natur- garten bzw. Wildgarten für Hauseigentümer, Wohnungseigentümer und Mieter möglich ist oder - gegenüber dem Vermieter - sogar ein Grund für Streit sein kann. Auch Kleingärtner sehen sich evtl. einer Rüge des Vorstands ausgesetzt, wenn sie Disteln und Brennesseln in ihrem Kleingarten für Schmetterlinge und deren Raupen vorhalten. Wie weit ist die Nutzung des Gartens in Richtung Naturgarten möglich? Dürfte der Mieter beispielsweise den englischen Rasen in eine blütenreiche Wildblumenwiese umwandeln? Darf ein Wohnungseigentümer einen Teich in seinem Sondernutzungsrecht anlegen? Martin Klimesch, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht und Inhaber der auf das Erb- und Immobilienrecht spezialisierten Kanzlei Klimesch & Kollegen, München, und engagierter Naturgartenliebhaber, stellt eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Köln zum Thema Wildgarten vor und gibt in 8 Kapiteln praktische Gartentipps, wie ein Naturgarten bepflanzt und gestaltet werden kann, um für die heimische Tierwelt attraktiv zu sein.
DER WILDGARTEN – ENTSCHEIDUNG DES LG KÖLN VOM 21.10.2010 – 1 S 119/09, ABGEDRUCKT IN ZMR 2011, 955
DER RECHTSFALL:
Der Mieter eines Hauses hat den kurzen englischen Zierrasen kurzerhand in eine munter wuchernde Wildblumenwiese ver- wandelt. Der Vermieter verklagt daraufhin seinen Mieter und möchte Zutritt zum Garten, um die Wildblumenwiese abzu- schneiden und den Rasen zu vertikutieren. Außerdem begehrt er die Kosten für diese Maßnahme. Vor Gericht trägt er vor, der Mieter schulde die Pflege des Gartens und habe den Garten verwahrlosen lassen, in- dem er den ursprünglich „gepflegten“ englischen Rasen in eine „Wiese mit Klee und Unkraut“ verwandelt habe.
DIE ENTSCHEIDUNG:
Das Landgericht Köln weist die Klage des Vermieters ab. Die Gartengestaltung ist Privatsache. Der Vermieter kann seinem Mieter nicht vorschreiben, wie er seinen Garten zu halten habe. Es steht dem Mieter frei, eine Wildblumenwiese dem englischen Zierrasen vorzuziehen. Eine Vernachlässigung des Gartens kann in der Anlage einer Wildblumenwiese jedenfalls nicht gesehen werden.
RECHTSTIPPS:
Die Entscheidung des LG Köln ist ein wichtiger Schritt in der Akzeptanz von Wildgärten und Naturgärten als alterna- tiver Gartenform. Sie betrifft nicht nur vermietete Grundstücke, vielmehr dürften die Argumente der Entscheidung auch auf das Nachbarrecht und das Wohnungseigentumsrecht übertragbar sein, vgl. Klimesch, IMR 2021, 133. So wird ein ordnungsliebender Nachbar keine Argumente mehr gegen die benachbarte Wildblumenwiese auffahren können, wenn das Landgericht Köln doch den Wildgarten ausdrücklich als gleichwertige alternative Gartenform anerkennt.
Schon bislang galt im Nachbarrecht, dass vom Nachbargarten hinüberfliegende Insekten vom Grundstücksnachbarn geduldet werden müssen, vgl. BGH, NJW 1995, 2633.
Ebenso sieht die Fachwelt den Laubfall und den Flug von Samen als ortsübliche Benutzung des Grundstücks an, mit der Folge, dass kein Abwehranspruch des Grundstücksnachbarn besteht, vgl. Stadler, Das Nachbarrecht in Bayern, 8. Aufl., Kap.10 C.
Die Rechtsprechung betont den Wert von Bäumen und Wildstauden („Wohnen im Grünen“) und sieht die typischen „Lebensäußerungen“ von Bäumen und Pflanzen (Laubfall, Schattenwurf, Samenflug u.a.) als hinzunehmender Teil eines die Lebensqualität steigernden, naturnahen Wohnens, vgl. OLG Frankfurt, NJW 1988, 2618.
Auch im Kleingarten sind Disteln und Brennnesseln nicht nur nicht verboten, sondern nach dem Bundeskleingartengesetz sogar ausdrücklich erwünscht. Denn nach § 3 Abs. 1 Satz 2 BKleinG sind die Belange des Naturschutzes bei der Bewirtschaftung des Kleingartens zu berücksichtigen. Vollsonnig stehende Brennnesseln sind die einzige Raupenfutterpflanze für Tagfalter wie Tagpfauenauge und Kleiner Fuchs. Zudem sollte man stets die Wirksamkeit von Klauseln einer Kleingartensatzung hinterfragen, wenn diese etwa Beschränkungen und Vorgaben für die zu pflanzenden Gehölzarten machen; viele dieser Klauseln verstoßen gegen § 3 Abs. 1 Satz 2 BKleinG („Naturschutzgebot“) und sind nichtig – und damit unbeachtlich!
Auch was die Anlage eines Gartenteichs angeht, zeigt sich die Rechtsprechung offen für die Belange der Natur. Im Mietrecht stellt die Anlage eines Gartenteichs eine zulässige Maßnahme der Gartengestaltung dar, vgl. LG Lübeck, WuM 1993, 669. Auch in einer Wohnungseigentumsanlage dürfen Wohnungseigentümer, denen ein Sondernutzungsrecht am Garten zusteht, als Maßnahme ordnungsgemäßer Gartengestaltung einen Gartenteich anlegen, vgl. Kempfle, in: BeckOGK, WEG, § 20 Rn 66; Klimesch, IMR 2021, 133.
Auch was Straßenbäume und Alleebäume angeht, ist der BGH einigen Oberlandesgerichten entgegengetreten und hat die Bruchgefahr gesunder Straßenbäume und Alleebäume, dem allgemeinen Lebensrisko zugewiesen und die Naturgebundenheit betont, selbst wenn es sich um bruchgefährdete Weichholzarten wie Pappeln handelt, vgl. BGH, NJW 2014, 1588.
Schottergärten sind nach einhelliger juristischer Auffassung baurechtlich unzulässig – bundesweit! Sie verstoßen gegen das in den jeweiligen Landesbauordnungen verankerte Begrünungsgebot (für Bayern: Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayBO), vgl. OVG Lüneburg, IMR 2023, 164; VG Minden, IMR 2024, 304; Schönfeld, in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Art. 7 Rn 17.1; Klimesch/Martin, BayVBl. 2021, 187.
Nach der erfrischend klaren Wildgarten-Entscheidung des LG Köln, welche dem Naturgarten den Ritterschlag erteilt, dürfte endgültig klar sein: Weder Nachbar noch Verwalter oder Vermieter können die Anlage eines Wildgartens mit rechtlichen Mitteln verhindern.
Ob hinüberfliegende Falter, hinüberkriechende Raupen oder auf das Nachbargrundstück gewehte „Unkraut“-Samen: All das sind ortsübliche und hinzunehmende Begleiterscheinungen eines Wild- oder Naturgartens. Und – es sind auch willkommene Lebensäußerungen, die allesamt unser Leben bereichern.
Es ist gut, dass die Naturgartenidee nun auch Eingang in die Rechtsprechung gefunden hat. Wer erfreut sich nicht am Anblick nektarsaugender Falter und Hummeln.
In den folgenden Kapiteln gibt der Verfasser eine Art „Segelanweisung“, mit welchen gestalterischen Mitteln und v.a. mit welchen Pflanzen man den größtmöglichen Effekt für die Artenvielfalt erzielt.
